Interview mit Dr. med. Simona Zahradnicek

Interview zur Anwendung von pflanzlichen Heilmitteln bei tumorkranken Menschen, durchgeführt von Martina Bühler, Pflegefachfrau Onkologie, OnkoZentrum Zürich.

MB: Du arbeitest seit geraumer Zeit hier bei uns am OnkoZentrum Zürich und wirkst in der gemeinsamen Betreuung unserer Patienten mit. Dein Fachgebiet ist die Komplementärmedizin und daraus vor allem die Phytotherapie. Warum die Phytotherapie und was ist das genau?

SZ: Phytotherapie ist die vielfältige Verwendung von Arznei- und Heilmitteln aus Pflanzen. Aus der Vielfalt der Komplementärmedizin bietet die Phytotherapie, also die Pflanzenheilkunde, sehr gute Ansätze zur Unterstützung krebskranker Menschen.

Für mich ist sie ein zentraler Bestandteil komplementärmedizinischer bzw. naturheilkundlicher Vorgehensweisen.

MB: Wie bist Du eigentlich als Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin zur Phytotherapie gekommen?

SZ: Zunächst habe ich mich mit der Traditionellen Chinesischen Medizin beschäftigt. Während des Studiums der chinesischen Heilkräuter begannen die westlichen, d.h. die europäischen Pflanzen an mich stärker zu interessieren, weil sie ganz unmittelbar zu unserer kulturellen Tradition gehören und ich einen grösseren Bezug zu ihnen verspürte.

MB: Wo hast Du Deine Phytotherapie-Ausbildung gemacht?

SZ: Ich bin Mitglied der SMGP (Schweizerische Medizinische Gesellschaft für Phytotherapie) und habe dort auch meine Grundausbildung gemacht. Noch während meiner Zeit in Deutschland habe ich eine Reihe von Kursen zur ärztlichen Ausbildung in Naturheilverfahren absolviert. Mein umfangreiches Wissen und meinen Erfahrungsschatz habe ich während meiner Tätigkeit als Fachärztin am Institut für Naturheilkunde des Universitätsspitals Zürich durch den damaligen Institutsdirektor erworben.

MB: Mit welchen Fragen suchen Dich unsere Patienten vor allem auf?

SZ: Zumeist mit der Frage nach zusätzlicher Unterstützung bei ihrer Erkrankung: Was kann ich sinnvollerweise aus dem Bereich der Komplementärmedizin in meine Therapie aufnehmen? Am häufigsten werde ich nach der Misteltherapie gefragt, vermutlich deswegen, weil sie wohl am bekanntesten ist.

MB: Kann jeder krebserkrankte Patient die Misteltherapie anwenden?

SZ: Nein, so pauschal kann ich das nicht sagen. Einige Patienten haben eine Vorerkrankung, die eine Kontraindikation für die Misteltherapie sein könnte und somit die Misteltherapie verunmöglicht, obwohl die Krebserkrankung selbst dafür geeignet wäre.

Auch empfehle ich die Mistel nicht bei allen Krebserkrankungen, wie z.B. bei Leukämien und Lymphdrüsenkrebs.

MB: Wann sollte ein Patient mit einer Misteltherapie beginnen?

SZ: Wenn eine Misteltherapie in Frage kommt empfehle ich eine möglichst frühzeitige Mitbehandlung, d.h. es wäre gut soweit möglich mit der Misteltherapie schon vor bzw. während der Chemotherapie und Strahlentherapie zu beginnen. Die Mistelbehandlung kann Nebenwirkungen reduzieren und die Therapie verträglicher gestalten. Die Lebensqualität kann verbessert werden.

MB: Wie lange dauert eine Misteltherapie?

SZ: Patienten sollten wissen, dass es meist eine langfristige, den Patienten begleitende Therapie sein sollte. Nach Wunsch kann die Therapie aber auch jederzeit beendet werden.

MB: Wie wird die Mistel verabreicht?

SZ: Die Mistel wird unter die Haut gespritzt und zwar vom Patienten selbst. Das lernen sie bei uns. Für viele Patienten ist dies auch kein Problem, da sie diese Applikationsart z.B. von Blutverdünnungsspritzen kennen.

MB: Es gibt doch auch orale Mistelpräparate – warum dann spritzen?

SZ: Ja es gibt die Mistel auch in Tropfenform, da hast Du recht. Die Tropfen haben andere Indikationsbereiche. Es gibt bis jetzt keine Untersuchungen, die einen vergleichbaren Nutzen dieser Präparate zeigen würde, zumindest nicht den, den wir bei tumorkranken Menschen erzielen möchten.

MB: Welche anderen Heilpflanzen empfiehlst Du noch?

SZ: Um einige aufzuzählen wären das insbesondere:

Teeblätter, vor allem in Form des GrünTees.

Die Inhaltsstoffe des GrünTees unterstützen nicht nur tumorkranke Menschen allgemein, sondern der Tee kann auch durch seine antimutagenen und antioxidativen Eigenschaften bei gesunden Menschen durch langjährigen Genuss das Krebsrisiko senken.

Dann:

Die Gelbwurz, also Kurkuma – bekannt als farbgebender Bestandteil des gelben Curry, zeigt vielfältige Wirkungen, darunter  antientzündliche und antitumorale Eigenschaften.

Sowie:

Die Mariendistel. Ein wichtiger Bestandteil wäre das Silymarin- Gemisch. Ein Inhaltsstoff aus diesem Gemisch wird auch bei Vergiftungen mit Knollenblätterpilzen angewendet. Es schützt und unterstützt unter vielem anderen die Leber.

Als Ärztin ist mir bewusst, dass auch eine Reihe pflanzlicher Heilmittel die Wirksamkeit von Krebsmedikamenten beeinflussen können. Ich lege Wert darauf, dabei möglichst die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu berücksichtigen. Daher empfehle ich, wenn immer möglich Phytotherapeutika, d.h. pflanzliche Arzneimittel mit Arzneimittelstatus, und/oder Nahrungsergänzungsmittel mit vergleichbarer Qualität und Datenlage. Es ist natürlich wichtig, durch die unterstützende Behandlung nicht die erwünschte Wirkung der Krebsmittel zu beeinträchtigen.

Es geht für mich primär nicht um die Bekämpfung des Tumors, sondern vor allem um die Unterstützung des Patienten.

Es gibt sehr viele Heilpflanzen, die z.B. die Nebenwirkungen von Chemotherapeutika lindern, ohne ihre Wirkung abzuschwächen. Auch nach Beendigung der Chemo- und/oder Strahlentherapie kann der Patient von Heilpflanzen und deren Zubereitungen in seiner weiteren Gesundung profitieren.